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Ein Blick hinter schwedische Gardinen
Datum : 20.09.2024
Kurzbeschreibung: Die Sommertouristen machte in der JVA in Adelsheim Halt. Hier gab es interessante Einblicke in den Haftalltag.
Die Inhaftierten schaffen beeindruckende Werke aus Holz. Foto: Andreas Hanel
Adelsheim. In Adelsheim steht die einzige Jugendvollzugsanstalt (JVA) in ganz Baden-Württemberg. Hier landen all diejenigen, die durch sämtliche sozialen Systeme wie das Elternhaus, die Schule oder auch – nach einer Straftat – die Bewährungshilfe durchgefallen sind. Die Aufgabe der JVA ist nun, die jungen Gefangenen dazu zu erziehen, "in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen". So heißt es zumindest im Justizvollzugsgesetzbuch.
Allerdings ist dies in der Praxis kein leichtes Unterfangen, zumal die durchschnittliche Haftdauer der jungen Gefangenen bei lediglich zwölf Monaten liegt. Trotz der hohen Rückfallrate setzen die rund 300 Beschäftigten der JVA tagtäglich alles daran, um "ihre" jungen Gefangenen in ein straffreies Leben zu führen. Wie genau der Alltag in der JVA aussieht, erfuhren knapp 20 Teilnehmer der RNZ-Sommertour bei einem interessanten Blick hinter die Kulissen.
Die Teilnehmer der RNZ-Sommertour erhielten spannende Einblicke in den Alltag in der JVA in Adelsheim. Foto:
Andreas Hanel
Dr. Jürgen Thomas vom Kriminologischen Dienst begrüßte zusammen mit seiner Mitarbeiterin Renate Modl die Teilnehmer und gab anhand einer Präsentation Informationen über die JVA, die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert. In Adelsheim stehen 417 Haftplätze zur Verfügung, die Durchschnittsbelegung lag 2023 bei 237 Jugendstrafgefangenen sowie bei 64 Untersuchungsgefangenen.
Insgesamt "sind 90 Prozent aller Jugendstrafgefangenen männlich", informierte Thomas. Die jungen Männer, die in Adelsheim untergebracht sind, sind im Durchschnitt 19,8 Jahre alt.
Dass sie durch alle sozialen Netze durchgefallen sind und in der JVA landeten, liegt an "multiplen Problemlagen": So hat etwa die Hälfte der Jugendstrafgefangenen keinen Schulabschluss, circa 98 Prozent haben keine Berufsausbildung. Bei rund 60 Prozent liegt eine "Drogen- oder Alkoholproblematik" vor, und etwa jeder vierte Jugendstrafgefangene zeigt psychische Auffälligkeiten.
Darüber hinaus hat ungefähr jeder zweite Jugendstrafgefangene Schulden. Außerdem gibt es in den Herkunftsfamilien der meisten jungen Inhaftierten massive Probleme wie "zerbrochene" Verhältnisse, häusliche Gewalt oder Alkohol- oder Drogenprobleme. Zudem haben 72 Prozent der in Adelsheim inhaftierten Jugendstrafgefangenen einen Migrationshintergrund, 63 Prozent haben die deutsche Staatsbürgerschaft.
Unter solchen ungünstigen Voraussetzungen ist für viele der Weg auf die schiefe Bahn nicht weit. Eigentums- und Gewaltdelikte sowie Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sind die meisten Gründe, warum die jungen Männer verurteilt wurden. Die meisten sind "Sammler", erklärt Thomas. Sie haben oft eine "ganze Palette" an Straftaten, bis sie in der JVA landen. Dass man wegen nur einer Straftat einsitzen muss, komme "ganz selten" vor. Dies seien dann schwerwiegendere Delikte wie Mord oder Totschlag sowie Sexualverbrechen. Pro Jahr kämen vier bis fünf wegen Totschlags und sieben bis acht wegen Sexualdelikten in die JVA, informierte der Kriminologe.
Um das große Ziel der Resozialisierung zu erreichen, bietet das Vollzugskonzept in Adelsheim unterschiedliche Häuser an. Da gibt es neben dem geschlossenen Regelvollzug zum Beispiel einen gelockerten Wohngruppenvollzug mit weitreichenden Mitgestaltungsmöglichkeiten der Gefangenen. Doch bei allen Anstrengungen: Dadurch, dass die durchschnittliche Haftdauer bei ungefähr einem Jahr liegt, sei es eine "Illusion", die Jugendlichen in dieser kurzen Zeit "umzukrempeln", so Thomas.
Dies zeigen auch die Zahlen zur Rückfallquote: 52 Prozent sitzen drei Jahre nach ihrer Entlassung wieder im Gefängnis, 31 Prozent werden anderweitig verurteilt, lediglich 17 Prozent schaffen es, nach drei Jahren weder verurteilt noch inhaftiert zu werden. Gerade bei Drogengeschichten sei die Rückfallrate sehr hoch, erklärte der Experte. Bei Totschlag oder Mord sei dagegen die Resozialisierung besser, da dies oft – wenn auch schwerwiegende – singuläre Fälle seien.
Schulleiter Jochen Knühl gab in der neuen Aula Einblicke in den Schulalltag an der JVA. Foto: Andreas
Hanel
Während des Vortrags stellten die RNZ-Leser immer wieder Fragen, die Dr. Thomas fachkundig beantwortete. So erfuhren die Teilnehmer etwa, dass Vorstrafen nach zwei bis drei Jahren aus dem System gestrichen werden, wenn der Verurteilte in dieser Zeit "clean" bleibe. Außerdem informierte der Experte, dass die Kosten für einen Haftplatz bei etwa 180 Euro pro Tag liegen.
Viel Lob und Anerkennung
Anschließend ging es in die gefängniseigene Lehrschreinerei, wo Betriebsleiter Andre Winkler die RNZ-Leser empfing. "Für mich ist es ganz wichtig, dass die Jungs aus der Zelle herauskommen", betonte er. In seiner Schreinerei schaut Winkler vor allem darauf, dass die "Großwetterlage" stimmt. "Ich achte darauf, dass die Starken nicht zu stark werden und dass die Schwachen nicht zu sehr unterdrückt werden."
Bei Straftaten zieht der Betriebsleiter eine ganz klare Grenze. Dies werde der Anstaltsleitung gemeldet und geht dann seinen Weg über die Staatsanwaltschaft. Kleinere Vorkommnisse werden intern geregelt. So gibt es zum Beispiel Lohnabzug – die Gefangenen verdienen für ihre Arbeit in der Schreinerei zwischen 10 und 12 Euro am Tag –, wenn man zum Beispiel sein Werkzeug nicht aufräumt. Allerdings gibt es auch Belohnungen, wenn man gut arbeitet. Überhaupt arbeitet Winkler viel mit Lob, Belohnungen und Anerkennung. "Ich gebe den Insassen viele Chancen." Allerdings brauche man auch viel Geduld.
Außerdem möchte er, dass die Gefangenen Verantwortung übernehmen. So gibt es das "Großer-Bruder-Konzept", bei dem ein Insasse, der schon länger mit dabei ist, einen Neuling unter seine Fittiche nimmt und Verantwortung für ihn übernimmt.
Und natürlich "verlässt nichts die Schreinerei", betonte Winkler. Wenn die Gefangenen zum Beispiel in der Mittagspause die Schreinerei verlassen, werden sie stets kontrolliert.
Andre Winkler (r.), der Leiter der JVA-eigenen Schreinerei, stellte die Arbeit mit den jungen Inhaftierten
vor. Foto: Andreas Hanel
Die authentische Art Winklers ist wohl einer der Erfolgsfaktoren der Schreinerei. Die Arbeit dort ist bei den jungen Inhaftierten begehrt. Sie können einen Antrag stellen, eine Zugangskommission entscheidet dann, wer wohin kommt.
Die jungen Gefangenen, die sich alle im ersten oder zweiten Lehrjahr befinden, fertigen unter der Anleitung von Andre Winkler Möbelstücke, Vogelkästen oder auch mal Großprojekte wie ein rund zwei Meter großes Segelschiff, das ein Insasse als Idee eingebracht hatte. Und erst in diesem Jahr haben sie sage und schreibe 2500 Frösche aus Holz für den Märchenwald im "Blühenden Barock" in Ludwigsburg gefertigt.
Hobbys werden gefördert
Danach führte Dr. Jürgen Thomas die RNZ-Leser ins Haus Q, wo psychisch Auffällige betreut werden. Hier arbeiten unter anderem zwei Sozialarbeiterinnen und zwei Psychologen. Das sei auch notwendig, betonte Claudia Ringlstetter, die die Hauskonferenzleitung innehat.
Der Tag beginnt im Haus Q morgens noch vor 6 Uhr mit einer Lebend-Kontrolle der Insassen. Nach dem Frühstück geht es um 6.45 Uhr entweder in die Schule oder zur Arbeit – unterbrochen von einer Mittagspause. Nach Feierabend gibt es eine Stunde Hofgang und die Möglichkeit für Freizeitbeschäftigungen.
Hierbei werden vor allem Hobbys gefördert. So gibt es zum Beispiel Kunst- oder Theaterprojekte. Oder die Insassen können etwas für ihre Fitness tun. Auch Spiele kommen gut an. Zum Beispiel "Stadt, Land, Fluss", erklärte Anna Porrmann. "Außerdem kochen die Jungs sehr gerne." Am Wochenende gibt es die Möglichkeit für einen Kirchgang. Die Seelsorger kommen aber auch unter der Woche in die Häuser.
Zweimal im Monat gibt es den sogenannten Gefangeneneinkauf, bei dem die Inhaftierten Produkte aus einer vorgefertigten Liste auswählen können – zumeist Essen oder Zigaretten, die die heimliche Währung in der JVA sind. Während der ersten 14 Tage im Gefängnis müssen die Jungen Anstaltskleidung tragen, danach dürfen sie ihre eigenen Klamotten anziehen, informierte Ringlstetter auf Nachfrage.
Bildung für ein besseres Leben
Daraufhin ging es in die neue, moderne Aula der JVA. Hier warteten Kaffee und Kuchen auf die Sommertour-Teilnehmer, und Schulleiter Jochen Knühl informierte über das Schulleben in der JVA. Das Schulgebäude hat keine Gitter vor den Fenstern, erklärte er. Zehn bis elf Lehrkräfte stehen ihm zur Verfügung – viel zu wenig, aber der Lehrermangel ist auch in der JVA spürbar.
Für diejenigen, die kein Deutsch können, gibt es einen Migrationskurs. Das Problem dabei sei, dass einige auch nicht in ihrer Muttersprache schreiben und lesen können. Ziel des Migrationskurses ist die Erlangung des Sprachniveaus A1. In einem Aufbaukurs können die Schüler dann das Niveau A2 erreichen.
In der JVA werden sowohl ein Hauptschul- als auch ein Realschulkurs angeboten. So haben insgesamt bereits über 3200 Schüler ihren Hauptschulabschluss und 280 ihren Realschulabschluss in der JVA absolviert. Zu den Prüfungen kommen externe Prüfer, die Abschlüsse sind auch außerhalb der JVA-Mauern anerkannt. Während Corona kam der beste Hauptschulabschluss im ganzen Neckar-Odenwald-Kreis übrigens aus dem Gefängnis.
Die Schüler haben einen Stundenplan: Von 7 bis 11 Uhr morgens ist Unterricht, dann kommt die Mittagspause. Ab 12.25 geht es dann in den Nachmittagsunterricht.
Ehrenamtliche Mitarbeiter gesucht
Anschließend beantwortete Anstaltsleiterin Katja Fritsche, die sich für die RNZ-Sommertour extra Zeit genommen hatte, die Fragen der Teilnehmer. 50 Jahre nach der Inbetriebnahme seien manche Häuser inzwischen so baufällig, dass sie abgerissen werden müssten, erklärte sie unter anderem. Die Landesregierung hat im Koalitionsvertrag die Modernisierung der JVA im Rahmen eines Masterplans fixiert.
Zum Thema "Abschiebungen" erklärte Fritsche, dass diese oft an vielen Hürden scheiterten. So wisse man zum Beispiel oft nicht, in welches Land abgeschoben werden müsse, da oftmals die Identität verschleiert würde. "Abschiebungen spielen in der Realität eine eher untergeordnete Rolle."
Aktuell öffnet sich die JVA nach außen. So ist man zum Beispiel in den sozialen Medien aktiv. Ziel dabei ist es unter anderem, neue ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden. "Interessierte können sich gerne jederzeit auf unserer Website anmelden", informierte die Anstaltsleiterin.
Vor dem Hintergrund, dass viele junge Häftlinge aus problematischen Lebensumständen kommen, will man auf jeden Fall weiterhin alles daran setzen, um die jungen Inhaftierten auf die richtige Bahn zu bekommen – zumal "sie ihr ganzes Leben noch vor sich haben". "Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass es sinnvoll ist, was wir hier machen", so die Anstaltsleiterin abschließend, bevor sie ihren neuen Stellvertreter Joel Ackermann sowie Lisa Radl, die das Team der Anstaltsleitung ergänzt, vorstellte.
Danach gab es noch eine kleine Überraschung für die Sommertour-Teilnehmer: Jeder bekam ein kleines personalisiertes Präsent überreicht. Nachdem sich Andreas Hanel, der stellvertretende Redaktionsleiter der RNZ in Buchen, für die interessante Führung durch die JVA bedankt hatte, ging es zum Abschluss ins neue "Knastlädle", wo man noch das eine oder andere Andenken an einen unterhaltsamen und informativen Tag mitnehmen konnte.
Dieser Artikel wurde geschrieben von: Andreas Hanel, stellvertretender Redaktionsleiter Rhein-Neckar-Zeitung