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Weit mehr als ein neuer Anstrich

Datum : 01.09.2023

Kurzbeschreibung: Insassen der JVA Adelsheim mit Vollzugslockerungen renovierten Ausstellungsräume der KZ-Gedenkstätte Neckarelz

Von Ursula Brinkmann

Neckarelz. Gibt man einer Sache redensartlich „einen neuen Anstrich“, bekommt sie ein neues, ein anderes Gepräge, stellt sich anders dar. So ist es mit den frisch gestrichenen Wänden  (und ein paar weiteren Gegenständen) der KZ-Gedenkstätte Neckarelz auch. Die neue Farbe ist das Eine; es war schlichtweg nötig, die vor zwölf Jahren eröffneten Ausstellungsräume zu renovieren. „An der Ausstellung selbst hat sich fast nichts verändert“, sagte Dorothee Roos, Initiatorin der Gedenkstätte und Vorsitzende des Vereins, der die inhaltliche und organisatorische Arbeit der KZ-Gedenkstätte trägt. Mitglieder des Vereins hatten selbst Hand angelegt und die Ausstellungsräume komplett leer geräumt, was ein ordentliches Stück Arbeit war und zwei Tage gedauert hatte.

Was dann folgte, ist das Andere. Drei jugendliche Insassen der Justizvollzugsanstalt Adelsheim (JVA) mit Vollzugslockerungen, haben zusammen mit einem Malerei-Ausbilder der JVA und einer Justizvollzugsbeamtin an drei Tagen die notwendigen Streicharbeiten übernommen. Gefangene streichen Räume, in denen die Geschichten von Gefangenen des Nazi-Regimes „erzählt“ werden. Die Zusammenarbeit der KZ-Gedenkstätte mit der JVA ist nicht neu. Als die Ausstellung 2011 in die neuen Räume zog, waren schon damals Häftlinge an der Gestaltung der Ausstellungsflächen beteiligt. „Die beweglichen Figuren, die die Lagergesellschaft darstellen, wurden in der JVA-Schreinerei hergestellt“, berichtete Roos. Bei der Errichtung der ersten Gedenkstätte 1997/1998 in einem Anbau an die Turnhalle der Grundschule war auch Erkan Satilmis beteiligt; heute bildet er in der JVA Maler aus. Der Neckarelzer war Grundschüler der Clemens-Brentano-Schule, in deren Vorgängereinrichtung 1944 die ersten 500 KZ-Häftlinge einquartiert waren.

„Die Gedenkstätte in Neckarelz ist ein Teil meiner Heimatgeschichte“, bekannte Satilmis. Es war und ist ihm ein persönliches Anliegen, einen „Beitrag gegen das Vergessen leisten zu können“. Auch Anstaltsleiterin Katja Fritsche unterstrich im Pressegespräch diesen Aspekt, richtete den Fokus auf die Würde jedes Einzelnen: „Die Bewahrung und Erneuerung des Gedenkens ist eine Form der Wiedergutmachung, die wir als Gesellschaft und als Einzelne leisten müssen.“ Gerade heute, da Intoleranz, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit zunähmen, sieht sie in dem Projekt ein wichtiges Zeichen. „Von den dreien hat jeder was mitgenommen, und er multipliziert es im Gefängnis.“ Fritsche empfindet sogar Stolz für das, was die drei jungen Männer geleistet haben, sieht sie darin doch ein „Beispiel, dass benachteiligte Menschen aus eigener Kraft etwas geschafft haben“. Im Jugendstrafrecht gehe es primär um die Erfüllung eines Erziehungsauftrags und die Wiedereingliederung. „Das wurde hier gemacht.“

Die Identifikation der heutigen Gefangenen mit denen der Jahre 1944 und 1945 hatte in Neckarelz zudem ganz konkrete Momente. Ein Ausstellungsbereich, der die Überschrift „Essen und Hunger“ trägt, fesselte zwei der Maler. Fritsche kennt die Klagen der JVA-Insassen über ein subjektives Hungergefühl und die Anstaltskost. „Wer seine Freiheit einbüßt, der kann auch am Essen eher nichts Gutes finden.“ Besonders angesprochen fühlte sich einer der Maler von der Krankenbaracke im offenen Eingangsbereich der KZ-Gedenkstätte. Sein Kommentar: „Absonderung quasi“ – bringt wohl auf den Punkt, wie er selbst und seine Mitinsassen den Vollzug erleben. Dorothee Roos hatte das Gespräch mit den Häftlingen gesucht und danach gefragt, wie die Gedenkstätte (und das Wenige, was von ihr während der Streicharbeiten tatsächlich zu sehen war) auf sie wirke.

Zu ihrem Erstaunen erfuhr sie, dass einer von ihnen aus Leonberg über die dortige KZ-Gedenkstätte gut Bescheid gewusst habe. Kaum weniger beeindruckt war sie von der Aussage, dass „es damals auf jeden Fall schwieriger war als heute, gefangen zu sein“.

Was noch zählte für die kurze Zeit außerhalb der Gefängnismauern: „Es war mal was Anderes, aus der Anstalt herauszukommen und für – ich sag mal – ‘ne gute Sache was zu machen.“ Umsonst aber haben weder die Häftlinge noch ihre beiden Begleiter in Neckarelz gearbeitet. „Das haben der Verein und die JVA vertraglich sauber gemacht“, klärte Katja Fritsche auf.

Auch für Carmen Bronner, die als Justizvollzugsbeamtin in Adelsheim die Freizeitgruppen leitet, war der etwas andere Arbeitsplatz eine gute Sache. Zusammen mit Erkan Satilmis begleitete sie die Häftlinge nicht nur, sondern legte an allen Tagen selbst mit Hand an. „Das war echte Teamarbeit.“

Das Arbeiten an diesem besonderen Ort hat Spuren hinterlassen, nicht nur bei den jungen Gefangenen. Die nun wieder aufgenommene Spur, sie soll zunächst in eine Führung für die drei Häftlinge münden. „Sie kennen die Räume ja nicht mit den Ausstellungsstücken“, schlug Dorothee Roos noch beim Pressegespräch Fritsche und Bronner einen Termin vor. Der pädagogische Ansatz, der sowohl der Vereinsvorsitzenden als auch der Anstaltsleiterin wichtig ist, er könnte außerdem umgesetzt werden, indem beispielsweise Schüler oder Auszubildende der JVA die KZ-Gedenkstätte besuchen und eine spezielle Führung bekommen. Beide Seiten wünschen sich jedenfalls, „dass es weitergeht“. Anknüpfungspunkte gibt es viele…

Info: Nach dem Abschluss der Renovierungsarbeiten steht die Gedenkstätte zu den regulären Öffnungszeiten sonntags zwischen 14 und 17 Uhr für Besucherinnen und Besucher wieder offen. Gruppen können nach vorheriger Anmeldung jederzeit empfangen werden.

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