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Letzte Ausfahrt Adelsheim

Datum : 04.09.2023

Kurzbeschreibung: Wie das einzige Jugendgefängnis im Land seine Insassen vor dem endgültigen Absturz in die Kriminalität bewahren will

Von Theo Westermann

Adelsheim. H. glaubt, dass er seine Lektion gelernt hat. Der 20-Jährige hat nur noch wenige Tage abzusitzen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Adelsheim. Wegen Körperverletzungsdelikten wurde er zu zweieinhalb Jahren verurteilt. „Es ist hart hier, aber es ist okay“, sagt er. Eigentlich war er schon auf Bewährung draußen. „Da habe ich aber nicht viel gemacht“, erzählt er mit ruhiger Stimme. Wegen nicht eingehaltener Auflagen musste er wieder einrücken – und hat diese Zeit besser genutzt.

Der junge Mann aus einer türkischstämmigen Familie im Umland von Stuttgart machte nämlich seinen Werkrealschulabschluss. „Die Bewährungswiderrufung hat mir das ermöglicht.“ In der JVA ist er Gefangenensprecher, weiß seine Position im internen Gefüge („Ich lasse mich nicht einschüchtern“) zu formulieren. Wenn er demnächst entlassen wird, will er das Abitur und den Führerschein machen, bei seiner Mutter leben. Für Sozialarbeiter Torsten Slomka ist er ein Erfolgserlebnis. „Das tut auch mal gut.“ Er hat den jungen Mann jüngst zum Treffen mit seiner Mutter begleitet, das soziale Umfeld spielt eine wichtige Rolle bei der Zukunftsprognose.

Letzte Ausfahrt
Nach einem Verstoß gegen Bewährungsauflagen landete H. erneut im Knast, die Zeit hat der 20-Jährige genutzt, um seinen Werkrealschulabschluss zu machen. Foto: Theo Westermann

14 bis 21 Jahre alte männliche Jugendliche und junge Männer, die zu einer Haftstrafe verurteilt werden, kommen in die 1974 erbaute JVA im Neckar-Odenwald-Kreis.

Sie ist inzwischen die einzige Haftanstalt des Landes für diesen Personenkreis. Wer in der Haft 24 Jahre alt wird, kommt spätestens dann in den Erwachsenenvollzug. Die JVA ist eine respektable Behörde mit 300 Beschäftigten, davon 178 im Vollzug und 54 in den Werkstätten. Aktuell sitzen 306 Insassen ein, davon 67 in Untersuchungshaft. Ausgelegt ist das Gefängnis auf 417 Haftplätze. Mitten in den sanft geschwungenen Hügeln, Wäldern und Wiesen des Odenwalds blicken die Mitarbeiter des Gefängnisses in einen Spiegel der Zeitläufe. 50 Prozent der Insassen haben keinen Schulabschluss, 98 Prozent keine Berufsausbildung, bei 57 Prozent liegt eine Drogen oder Alkoholproblematik vor. Aktuell haben rund 70 Prozent der Insassen einen Migrationshintergrund, viele kommen aus den Maghreb-Staaten oder Afghanistan.

Jürgen Thomas ist Kriminologe, einer von zwei in der JVA, die den Jugendstrafvollzug wissenschaftlich begleiten. Er sieht die JVA als letzte Einwirkungsmöglichkeit auf das Klientel: „Wir sind Lands End. Nach uns kommt nichts mehr.“ In den 90er Jahren kamen viele Insassen vom Balkan. Damals tobten die Balkankriege. Es folgten die Russlanddeutschen. „Und seit 2015 ist es die große Anzahl von Geflüchteten.“ Thomas, seit 2009 in der JVA, über die aktuelle Situation: „Das stellt unseren Vollzug vor ganz neue Herausforderungen.“

Durchschnittlich sind die Insassen zwölf Monate da, eine sehr kurze Zeit, um auf sie einwirken zu können, einen Schulabschluss oder eine Berufsausbildung anzugehen. Probiert wird es trotzdem. „Wir haben hier die schwersten Jungs von Baden-Württemberg. Da können sie auch viel Schlechtes lernen“, sagt die Kriminologin und Sozialarbeiterin Melanie Andresh. Also sei es durchaus besser für sie, „kürzer als länger hier zu sein“.

Wenn man über das weitläufige Gelände streift, fühlt man sich an einen Kasernenbau der 70er Jahre erinnert – wenn da nicht rundum die hohe Mauer wäre. Mehrere Sportplätze sind nach schlagzeilenträchtigen Massenschlägereien 2015 käfigartig umgittert. Es gilt, die unterschiedlichen Gruppen bei Freizeit, dem Weg zur Arbeit und beim Sport so weit wie möglich voneinander zu trennen. „Wichtig ist, dass immer jemand dabei ist. Unstrukturierte Zeit ist ein Einfallstor für Gewalt“, so Jürgen Thomas. Und diese kann oft völlig unmotiviert ausbrechen.

Hofgelände
Auf dem Areal der JVA Adelsheim müssen die Insassen auch so gut wie möglich voneinander getrennt werden. Foto: Theo Westermann

Unterkunftsbereich
In verschiedenen Unterkunftsgebäuden werden die Gefangenen je nach Notwendigkeiten aufgeteilt. Foto: Theo Westermann

Es fallen ein Dutzend zwei- bis dreistöckige schmucklose Gebäude auf, sie funktionieren nach einem klaren Muster. Da gibt es beispielsweise das Haus C2 für „durchsetzungsschwache Gefangene“, das Haus H für jene mit „gravierendem Fehlverhalten“, intern „Systemsprenger“ genannt, oder das Haus G1 mit „intern gelockertem Vollzug“ für gemeinschaftsfähige Gefangene. Sozialarbeiter Slomka ist im Gebäude E2/E3 Herr über 40 Jungs der härteren Bauart: „Hafterfahren, dicke Arme, durchsetzungsfähig“, beschreibt er sie. Slomka setzt auf „Beziehungsarbeit und mehr Präsenz“. Die Arbeit ist mühsam, die Sprachbarrieren angesichts des hohen Migrantenanteils oft unüberwindlich. Eine hohe „Rückkehrerquote“ kommt hinzu. „Hier stößt man schnell an seine Grenzen“, so der Sozialarbeiter, der seit 2008 in Adelsheim arbeitet.

Die Zeit in der Haftanstalt stellt – stärker als bei Erwachsenen – die Resozialisierung in den Vordergrund. Ausbildungsangebote, Schule, Arbeit und Sport sowie der Einsatz von Sozialarbeitern, Lehrern und Psychologen, auch sozialtherapeutische Behandlung, sollen dazu beitragen – doch dabei gilt es dicke Bretter zu bohren und Frust auszuhalten. Ortswechsel: In der Schreinerei sieht es aus, wie in jeder Schreinerei. Moderne Maschinen, Bretter, es riecht nach Holz und Staub. „Wir geben den Jungen die Freiheit, den Laden in aller Ruhe kennenzulernen. Und wir beobachten, zu wem sie sich gesellen: Zu den Starken oder den Schwachen oder sitzen sie verängstigt vor dem Büro?“, erzählt Schreinermeister Andre Winkler. Derjenige, der sich um einen Neuen bemüht, ist dann verantwortlich für ihn. „Wir nehmen erst mal jeden. Es kristallisiert sich dann heraus, wer auch für die Schreinerei geeignet ist“, so sein Kollege Andreas Faulhaber.

Hier in der Schreinerei, unter der Ägide der erfahrenen Schreinermeister, läuft ein Stück Pädagogik ab. Wenn es zu Straftaten kommt, werden diese gemeldet. Alles darunter wird in der Werkstatt geregelt, ist die Devise. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass einer zum Abkühlen ein paar besonders schwere Bretter von den Regalen runter und wieder hoch zu tragen hat. Positive Ansätze werden durch Lob verstärkt: „Was sie nicht kennen, ist Lob und Anerkennung“, betonen die Schreinermeister. Einer der jungen Männer im Hintergrund, ein Afghane im letzten Lehrjahr, arbeitet besonders versiert. Er sitzt ein wegen Körperverletzung. Im Gefängnis hat er die Kurve bekommen, die Gesellenprüfung steht an, dann die Entlassung, so Winkler und Faulhaber nicht ohne Stolz. Viele andere stehen aber erst am Anfang – der Zeit im Knast, wie beim Umgang mit Holz.

Gefängnisdirektorin Katja Fritsche, seit 2015 im Amt, schaut aus ihrem Büro im neuerbauten Eingangs- und Verwaltungsgebäude auf die Haftanstalt.

Acht Jahre hat die Juristin, die zuvor unter anderem Jugendrichterin war, wie die gesamte Verwaltung in einem Containerbau auf dem Gefängnisareal verbracht. Eigentlich sollten es nur zwei Jahre sein. Ansonsten blickt sie auf ein in weiten Teilen bröckelndes Gebäudeensemble. Doch sie ist guter Dinge. 2024 soll es eine neue Küche geben, die Schule wird aufgestockt, dann folgt die Sanierung eines Unterkunftsgebäudes. „Dann gibt es noch den Masterplan der Justiz ab Ende der 20er Jahre.“ Doch auch im Umgang mit den jungen Strafgefangenen braucht es Geduld. „Hier muss man immer in größeren Zeiträumen denken“.

Deshalb ist es auch für Fritsche keine Aufgabe für wenige Jahre geworden, wie sie am Anfang selbst geplant hatte. „Als die ersten fünf Jahre rum waren, habe ich gedacht, ich bin doch gerade erst angekommen.“ Sie ist Realistin, weiß, dass sie mit „hochproblematischen jungen Männern auf engem Raum“ zu tun hat. Aber: „Wir kümmern uns um Menschen, die die Gesellschaft abgibt. Wir haben hier die letzte Möglichkeit, dem Ganzen noch einen Dreh zu geben.“ Sie kennt die Skepsis der Gesellschaft, was die Erfolgsaussichten angeht. „Nichtstun ist aber keine Option“, sagt sie und hofft: „Irgendwann wirkt es, was wir tun, vielleicht auch erst in einigen Jahren.“

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